19. November 2012

Feuer und Wasser

Bereits im 18. Jahrhundert war das italienische Fassatal bekannt für seine Mineralstufen, die in zahlreiche Kuriositätenkabinette der Zeit bewundert werden konnten. Die erste wissenschaftliche Monographie wurde allerdings erst 1811 vom italienischen Geologen Gian Battista Brocchi (1772-1826) veröffentlicht. "Memoria mineralogica sulla Valle di Fassa. - ...mineralogische Abhandlung über das Thal von Fassa in Tirol..." wurde ein großer Erfolg und unter anderem ins Deutsche und Französische übersetzt. 

Abb.1. Beim Fassait handelt es sich um ein kontaktmetamorphe Diopsid-Varietät, die in den Kontaktaureole der Intrusionen des Monzoni-Komplex gefunden werden kann.
 
Doch das Fassatal sollte bald darauf für eine geologische Unmöglichkeit berühmt-berüchtigt werden. In 1820 beschrieb der Geologe Graf Giuseppe Marzari-Pencati (1779-1836) die stratigraphischen Verhältnisse des Tales - dabei entdeckte er an der Lokalität "Canzoccoli", oberhalb des Dorfes Predazzo, das Kalkstein neben Granit (eigentlich ein Monzonit-Syenit) auftrat.

Abb.2. und 3. Die Lokalität "Canzoccoli" von Predazzo aus gesehen und eine geologische Skizze um 1846. Der Syenit (rechts) steht in engen Kontakt mit dem Kalkstein (links) und wird von letzteren über- wie auch unterlagert (Carta Geologica Foglio 22 "Feltre")
   
Dies war nach der damaligen vorherrschenden Lehre des Neptunismus unmöglich, der alle Gesteine als Absatzgesteine eines "Urmeeres" interpretierte und Granit als ältestes Gestein lange vor Kalkstein ausgefällt worden sein musste. Der Neptunismus wurde vom französischen Diplomat und Naturwissenschaftler Benoît de Maillet (1656-1738) begründet, der in seinem posthumen Werk "Telliamed" (1748) Fossilien beschrieb, die hoch in den Bergen gefunden wurde. Maillet schlussfolgerte daraus, dass die gesamte Erde einst bis zu den höchsten Gipfel von einem Urmeer bedeckt war, aus dem die Gesteine sedimentierten.

Die dominierende Rolle des Neptunismus im Mitteleuropa des 19. Jahrhunderts wird oft auf die "dogmatische" Lehre des Inspektors der Bergakademie, Abraham Gottlob Werner (1749-1817), zurückgeführt. Tatsächlich beeinflusste Werner eine ganze Geologengeneration (seine Schüler umfassten unter anderem Leopold von Buch und Alexander von Humboldt), allerdings fußte seine Hypothese auch auf genaue (leider aber auch beschränkte) Naturbetrachtung und erschien den meisten Gelehrten der damaligen Zeit als schlüssig. In seinem Werk "Kurze Klassifikation und Beschreibung der verschiedenen Gesteinsarten" (1787) erarbeitet er ein Klassifikationsschema für Gesteine, das hauptsächlich von ihrer Schichtabfolge und Lagerung ausging, und dabei auch vermutetes Alter und Bildungsbedingungen berücksichtigte.


Abb.4. Darstellung durch den Künstler Johannes Kentmann der Basaltsäulen des Burgberges von Stolpen (Lausitz-Sachsen) im Werk "De omni rerum fossilium genere,...()" (1565) von Konrad Gesner. Dieser Aufschluss wurde bereits 1520 erwähnt, als Carolus von Miltitz ein Handstück des Basalts nebst einen Begleitbrief an Friedrich den Weisen sandte. 1546 nutzt Georgus Agricola in seinem "De Natura Fossilium" den Namen "Basalt" zum ersten mal für diesen Aufschluss und ersetzt damit den älteren Begriff  - eingeührt von Plinius - "Basanit".
Die Darstellung der Basaltsäulen als Kristalle macht deutlich, dass die Idee der Neptunisten von Gesteinen, als Produkte ausgefällt von Wasser, eine lange Tradition hatte.

Nach Werner konnte die Schichtabfolge im Gelände durch einen ehemaligen Weltozean erklärt werden. Nach der Bildung der Erde aus einem kosmischen Nebel formte sich ein fester Kern, der von einer Hülle einer wässrigen Lösung umgeben war. Aus dieser Lösung fällten sich nach und nach Kristalle aus, die absedimentierten und die verschiedenen Gesteinsarten bildete - zuerst Granit, der zumeist ganz unten anzutreffen ist, gefolgt von Gneis, Schiefer, Basalt und schließlich Kalkstein und andere "Sedimentgesteine" Als beispielhaftes Profil beschrieb er 1788 in "Bekanntmachungen einer von ihm am Scheibenberger Hügel (eine Lokalität im Erzgebirge - Sachsen) über die Entstehung des Basalts gemachte Entdeckung" eine Abfolge von horizontalen Schichten aus tertiären Sanden, Tongesteine, Konglomerate, Hyaloklastite ("Peperit") und Basaltdecken. Werner vermutete, dass diese horizontale Abfolge weltweit Gültigkeit hatte -  und auch die "symmetrische" Lagerung der Alpen sollte damit erklärbar sein.

Weiters waren aktive Vulkane in Europa nur von Süditalien bekannt - deren Eruptionen zwar spektakulär, aber Auswirkungen und Ablagerungen räumlich stark beschränkt waren. Flutbasalte und große Intrusionen, z.B. wie sie in Island auftreten, waren den meisten Gelehrten der damaligen Zeit noch weitgehend unbekannt. Tatsächlich stimmten die meisten Geologen der damaligen Zeit Werner zu - Magmatische Aktivität war zu schwach, um die großräumigen Landschaften der Erdkruste zu erklären.


Giuseppe Marzari-Pencati war ein typischer Naturalist seiner Zeit, der sich zunächst mit Botanik befasste und nach ausgedehnten Reisen in ganz Europa (unter anderem Süditalien mit seinen Vulkanen) um 1802 der Geologie zuwandte. Als Aufseher für die Österreich-Ungarische Monarchie verschlug es ihn um 1806 in die Bergbaugebiete des damaligen Tirols. Vielleicht beeinflusst von seiner Erfahrung mit Vulkanen, war er überzeugt davon das magmatischer Aktivität eine bedeutende Rolle in der Genese von Gesteinen zukommen musste.
Um 1820 publizierte er einen Artikel im "Nuovo Osservatore Veneziano" über die Lokalität "Canzoccoli", wo er das gleichzeitige Auftreten eines kristallinen Syenits (auch als Monzonit bezeichnet) neben einem weißen, homogenen Kalkstein - als "Predazzite" bezeichnet -beschrieb.

Abb.6. Handstücke von "Predazzite", eigentlich ein kontaktmetamorpher Kalk-Marmor.

Pencati behauptete, dass Predazzit eigentlich keine eigene Gesteinsart, sondern ein durch hohe Temperaturen umkristallisierter Kalkstein war - dies bedeutet nicht nur das der Kalkstein vor dem Eindringen des geschmolzenen Syenit bereits vorhanden gewesen sein musste (also älter als der Syenit war), sondern das Ausfällung aus einer Lösung bei der Bildung dieser Gesteine keine Rolle gespielt hatte. 
Zwei Jahre später besuchte Leopold von Buch Predazzo um eine neptunistische Erklärung für die ungewöhnlichen Lagerungsverhältnisse zu finden. Er schlug zunächst einen Bergrutsch vor, der die ursprünglichen horizontalen Schichtungen verstellt und verfälscht hatte, allerdings waren die Gesteine ungestört und der Übergang von Syenit zu Kalkstein war keine scharfe Grenze, sondern ein Übergang mit einer ausgeprägten Kontaktaureole (der metamorphe Predazzit).

Abb.7. Zahlreiche Geologen besuchten das Dorf Predazzo um die geologischen Verhältnisse von plutonischen und sedimentären Gesteinen mit eigenen Augen zu sehen.

Die Idee einer magmatischen Genese der Gesteine war nicht neu. 1788 schlug der Schottische Geologe James Hutton vor, dass magmatische Gesteine in geschmolzenen Zustand in die Erdkruste eindrangen und kristalline Schiefer durch Erdwärme umgewandelte ehemalige Sedimentgesteine waren. Charles Lyell übernahm diese Hypothese in seinem einflussreichen Werk "Principles of Geology" (Erstausgabe 1830-33). Allerdings sollte der Streit ob Magma die einzigen Quelle von Gesteinen sein kann bis weit nach 1890 dauern.

Abb.8. und 9. Magmatische Gänge ("Serpentinit") durchschlagen "umgewandelten Kalkstein" der in Kontakt zu einer Intrusion von "Granit" liegt (aus "Geo-Mineralogische Skizzen über einige Täler Tirols", 1848). Diese Aufschluss-Skizze (und realer Aufschluss) beweißt verschiedene Alter und Phasen der Gesteinsbildung - von sedimentärem Riffkalkstein zu kleinräumigen ladinischen Basalt-Gängen und groß-maßstäblichen Granit-Intrusionen des Monzoni-Komplex (228-237 Millionen Jahre alt).

Literatur:

AVANZINI, M. & WACHTLER, M. (1999): Dolomiti La storia di una scoperta. Athesia - Bolzano: 150
DELLANTONIO, E. (1996): Geologia delle Valli di Fiemme e Fassa. Museo Civico Geologia e Etnografia - Predazzo: 72

LOOK, E.-R. & FELDMANN, L. (Hrsg.)(2006): Faszination Geologie – Die bedeutendsten Geotope Deutschlands. E. Schweizerbart´sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart: 179
WAGENBRETH, O.(1999): Geschichte der Geologie Deutschland. Georg Thieme Verlag: 264

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