3. März 2012

Lug, Betrug und jede Menge falscher Spuren

Versteinerte Kopulierenden Frösche?
Es ist eine der klassischen Anekdoten aus der Frühzeit der Paläontologie: Im Jahre 1725 wurden dem Professor der Medizin und Leibarzt des Bischofs von Würzburg, Dr. Johann Bartholomäus Adam Beringer (1667-1738), einige seltsame Stein zugespielt. Auf den Steinen waren klar erkennbar die Umrisse von Tieren, Pflanzen und unbekannten Wesen zu sehen - Beringer wusste sofort dass dies eine besondere Entdeckung war - ein Wunder dar Natur, vielleicht gar eine göttlichen Schöpfung. Er versprach den drei Burschen, die die ersten Steine angeblich gefunden hatten, für jeden weiteren Stein eine reiche Belohnung. Schon nach kurzer Zeit hatte er eine große Sammlung angelegt, die auch entsprechend der Bedeutung publiziert werden sollte. Im Jahre 1726 veröffentlichte Beringer eine Monographie mit 14 Kapiteln und 21 Druckplatten, die die 204 schönsten Stücke abbildeten - die "Lithographia Wirceburgensis". Doch dann wurde der Schwindel aufgedeckt - zwei Kollegen von Beringer,  der Mathematiker Jean Ignace Roderique (1697-1756) und der Theologe Johann Georg von Eckhardt (1664-1730), hatten die Figuren von den drei jungen Burschen in die Steine ritzen lassen und anschließend Beringer untergejubelt. Dieser hatte die plumpen Fälschungen nicht erkannte und als echte Fossilien angesehen! Ein Gelehrter mehr dem Aberglauben zugetan als der reinen Wissenschaft!
Beringer verbrennt daraufhin verbittert all die Exemplare der "Lithographia Wirceburgensis" und zerstört die Druckplatten, Roderique und Eckhardt mussten die Stadt verlassen aufgrund ihres unehrenhaften Betrugversuchs.

Fast jeder Student der Geowissenschaften kennt diese oder eine ähnliche Version des Mythos der "Würzburger Lügensteine" - mehr als 400 Lesesteine aus Muschelkalk die mit höchst seltsamen Figuren verziert sind. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass diese Geschichte selbst eine Fälschung aus dem 19. Jahrhundert ist.

Es ist nicht ganz klar wenn Beringer die ersten Steine erhalten hat. Er selbst behauptet dass dies im Mai 1725 geschehen ist bzw. er die Steine sogar selbst entdeckt hat! Auf jeden Fall beauftragte er zwischen Juni und November desselben Jahres die Gebrüder Hehn, den Burschen Kerl Zänger und eine vierte Person, die unbekannt geblieben ist, mit der "Ausgrabung" von weiteren Steinen.
Beringer beginnt sofort mit der Beschreibung der ersten Fundstücke, bestellt die Druckplatten für die geplante Monographie und publizierte bereits im Oktober 1725 eine kurze Stellungsnahme zu den Funden (bzw. der Tradition der Zeit folgend eine Vorbericht zum geplanten Buch). Bereits jetzt werden die Funde angezweifelt, allerdings präsentierte Beringer den Skeptikern verschiedene Berichte von Augenzeugen, die bei der Ausgrabung der Steine auf dem Hügel nahe Würzburg sogar dabei gewesen sein wollen. Von Eckhardt und später Roderique sollen die angebliche Fundstelle begutachten. Sie finden zwar keine Steine, allerdings auch keine Beweiße eines Betrugs oder Täuschung. 


Um den weiteren Verlauf der Geschichte besser zu verstehen, muss man sich den damaligen aktuellsten Wissenstand zu Fossilien vergegenwärtigen. Die Entstehung von Fossilien wird generell noch als Wunder angesehen. Erst 1669 hatte der Däne Niels Stensen eine Abhandlung publiziert in der zumindest nachgewiesen wird dass Fossilien anscheinend versteinerte Lebewesen sind (wobei der Prozess der Versteinerung unklar bleibt). Daraufhin deuten einige wenige Gelehrte die Fossilien als Reste der Lebewesen die durch die Sündflut verschüttet wurden - allerdings bleiben magisch-metaphysische Erklärungen, wie eine formgebende (göttliche?) Kraft im inneren der Erde, hoch im Kurs. 

Beringer behauptet niemals dass die Würzburger Lügensteine echte Fossilien - also versteinerte Lebewesen gemäß der Sündflut-Theorie - sind, sondern deutet die Meißelspuren (!) auf einigen von Ihnen als direkte Spuren des Eingreifens einer göttlichen Macht. Damit bleibt er sogar im Bereich der damaligen "klassischen Wissenschaft" und wird keineswegs als weltfremder Spinner abgetan.

Im Frühjahr 1726 erhält Beringer tatsächlich einige Steine die von Roderique stammen. Beringer wird ertappt, allerdings führt er eine gewieften Schachzug aus: diese Steine mögen Fälschungen sein, allerdings sei damit nicht bewiesen dass die vorherigen Steine (die lange vor der Ankunft von Roderique in Würzburg aufgetaucht waren) ebenfalls Täuschungen sein müssen. Er ist selbstbewusst genug um sogar einen Prozess gegen die "Verleumdungen" anzustreben (der erst nach dem Druck der "Lithographia Wirceburgensis" enden wird). Die vier Burschen werden befragt, geben allerdings nur zu die Steine an Beringer verkauft zu haben - die Herkunft der Steine bleibt im Dunkeln. Allerdings erlebt Beringer eine kleine Niederlage: zwar wurde nicht nachgewiesen dass die Steine gefälscht wurden, allerdings wird diskutiert dass ähnliche Steine - im Gegensatz zu Beringers Versicherungen - von Menschen hergestellt werden können.
Die "Lithographia Wirceburgensis" wird gedruckt und ist ein großer Erfolg, allerdings nicht der absolute Gottesbeweis wie von Beringer erhofft.

Alle beteiligten Personen litten nicht besonders unter dem so genannten Skandal. Roderique verlässt Würzburg freiwillig im Jahre 1730 und arbeitet als hochangesehener Verleger, Eckhart´s Rolle beschränkte sich auf das Begutachten der angeblichen Fundstelle und Beringer rührt die Druckplatten seiner Monographie nicht mal an - im Jahre 1767 erscheint sogar eine zweite Auflage.
Es konnte nie eindeutig geklärt werden wer die Lügensteine des Jahres 1725 hergestellt hatte. Die Ausführung ist professionell und die gewählten Motive waren damals wohl nur gelehrten Personen geläufig (vor allem die Meerstiere). Es gab kein Hinweis dass gegen Beringer intrigiert wurde - allerdings bleibt anzumerken dass eine der involvierten Personen tatsächlich ein Motiv gehabt hätte. 

Beringers Gottesbeweis durch die eingeritzten Figurensteine war seinem Gönner, dem Bischof von Würzburg gewidmet - eine große Ehre wenn es denn wahr gewesen wäre. Beringer hatte die Mittel, die Kontakte, die Möglichkeit und bestimmt das Wissen um einen solchen großangelegten Fälschungsfall auf die Beine zu stellen. Es spricht einiges dafür, dass der größte Trick von Beringer nicht auf seine, sondern auf unsere Kosten gegangen ist…

Literatur

BEHRINGER, J.B.A. & HUEBER, G.L. (1726): Litographiae Wirceburgensis, ducentis lapidum figuratorum, a potiori insectiformium, prodigiosis imaginibus exornatae specimen. Würzburg 1726. Scan by www.BioLib.de
NIEBUHR, B. & GEYER, G. (2005): Beringers Lügensteine: 493 Corpora Delicti zwischen Dichtung und Wahrheit. Beringeria Sonderheft 5, Teil II: 188
NIEBUHR, B. (2006): Wer hat hier gelogen? Die Würzburger Lügenstein-Affaire. Fossilien 1/2006: 15-19

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