31. Juli 2016

1816 - Das Jahr ohne Sommer

"Es war ein feuchter, unschöner Sommer, unaufhörliche Regengüsse hielten uns tagelang im Haus."
Mary Shelley, Autorin von Frankenstein
 
Allegorische Darstellung des Vulkanismus, der einerseits fruchtbare Böden bilden kann und Inspiration für Künstler und Dichter lieferte, andererseits Tod und Verwüstung durch Ausbrüche und Klimaverschlechterungen bringen kann. Radierung nach Joseph Nicolas Nicollet (1786-1843), französischer Naturgelehrter, nach einem Entwurf des französischen Künstlers Alexandre-Évariste Fragonard (1780-1850).
 
Die Welt im Jahre 1816 war noch stark durch die Landwirtschaft geprägt, spezielle die erst seit relativ kurzem unabhängigen Vereinigten Staaten waren von den Früchten der Felder abhängig um ihre Bevölkerung zu ernähren. Erst ein Jahr vorher waren die Napoleonischen Kriege in Europa durch die Schlacht bei Waterloo entschieden worden und noch herrschte ein soziales und politisches Chaos. Aber nun kam ein weiteres Unglück dazu. Es regnete in Strömen in ansonsten  trockene Gebiete und es kam zu Dürren in ansonsten regenfeuchten Zonen. Selbst in den Sommermonaten kam es zu Schneestürmen und Fröste. Wegen der Kälte erfroren die Keimlinge auf den Feldern. Aufgrund der Dürre verdorrten die Pflanzen und die Früchte verfaulten wegen des Regens und der Feuchtigkeit bevor sie geerntet werden konnten. Missernten waren die weitverbreitet Folge. Auch das Vieh erkrankte oder musste notgeschlachtet werden da es nicht gefüttert werden konnte. Es kam zu Hungersnöten und in ihrer Verzweiflung kochten die Bauern das Gras von den Wiesen. Und nun kam ein noch härterer Winter.
 
Was war passiert?  Etwa um 1812 erwachte mit Erdbeben und Dampffontänen der Tambora, auf der Insel Sumbawa gelegen, nach schätzungsweise 5.000 Jahre, aus seinem unruhigen Schlaf. Am 5. April 1815 brach er aus und schleuderte Asche und Gase bis in 25 Kilometer Höhe. In den folgenden Tagen kam es immer wieder zu Ausbrüche und Ascheregen. Am 10. April reichte die Eruptionskolonne bereits 40 Kilometer hoch. Möglicherweise 34-50 Kubikkilometer Asche wurden vom Tambora ausgespien und der Vulkan sackte um mindestens 1.200m in sich zusammen.
Der berühmte Geologe Charles Lyell wird später, basierend auf zeitgenössische Augenzeugenberichte, schreiben:
 
"Im April 1815 ereignete sich in der Provinz Tomboro, auf der Insel Sumbawa, einer der schlimmsten Vulkanausbrüche, die in der Geschichte registriert wurden...In der Provinz Tomboro überlebten aus einer Bevölkerung von 12.000 nur 26 Personen."
 
Der Ausbruch wurde von Erdbeben, Glutlawinen und Tsunami begleitet. Die Felder der Bauern auf Sumbawa wurden von bis zu einem Meter Asche zugedeckt, die saure Asche vergiftete den Boden und das Trinkwasser auf den Inseln von Lombok, Bali, Java, Sumba und Flores. Es herrschte überall Hunger und Not.
 
Der Tambora hatte nun auch gewaltige Mengen von Asche und Schwefelverbindungen in die höhere Atmosphäre geschleudert, die das Klima weltweit beeinflussen werden. Klimatische Auswirkungen von starken Vulkanausbrüchen beschränken sich nicht nur auf die Neuzeit. Die Asche, Dampf und Gase, darunter speziell Schwefeldioxid, gelangten hoch in die Atmosphäre wo sie von den Winden über die Erde verteilt wurden. Schwefeldioxid formt mit der Luftfeuchtigkeit Tröpfchen, die als Dunstschleier wirken und die Sonneneinstrahlung reflektieren. Auch die Asche wirkt als eine Art Decke die die Sonneneinstrahlung beträchtlich abschwächt. Eine schwache Sonneneinstrahlung wirkt sich aber auf die Temperaturverteilung der Erdoberfläche aus, und diese wiederum auf das Klima.
 
Nach dem Ausbruch des Tambora fielen die Durchschnittstemperaturen in Europa um fast 10°C. Die Sommer von 1816 und 1817 waren kalt und feucht. In vielen Gegenden fiel Schnee, in Ungarn war er sogar braun gefärbt durch die dunkle Vulkanasche, in Italien anscheinend rötlich und gelblich. Aufgrund der Missernten in 1816 gab es für 1817 kaum Samen für die Aussaat, was die Ernährungslage nur verschlimmerte. Der viele Regen weichte die Straßen auf und es kam zu Engpässen bei Lebensmittellieferungen – und wenn es was zum Essen gab konnten es sich viele Menschen einfach nicht leisten. Wie noch nie zuvor verhungerten die Menschen in den Städten. 
In Indien fiel der Sommermonsum aus. Erst im September kam es zu heftigen Regen und Überschwemmungen. 
In China folgte auf eine Dürre große Überschwemmungen. Der Hunger und die Unterernährung schwächte die Menschen und Seuchen breiteten sich leichter aus. Die Cholera breitete sich von China nach Westen aus, erreichte Afghanistan und Nepal, das Kaspische Meer und schließlich in 1830 Moskau. Ein Jahr später erreichte die Seuche Ägypten, Polen, Ungarn und Frankreich. 1832 brachten Auswanderer – teils durch den Hunger und die sozialen Unruhen in Europa zur Auswanderung gedrängt - die Cholera nach New York City. 
Der Sommer im Nordosten Amerikas war ungewöhnlich trocken, unterbrochen von plötzlichen Frösten und Schneestürmen. Kalte, keimabtötende Fröste trafen Neu-England von Juni bis August 1816. Die Ernten waren verloren und es gab kein Futter für die Tiere, vor allem in den Städten kam es zu Lebensmittelengpässen, da die Bauern sich gerade mal selbst versorgen konnten.
 
Erst in 1818 beruhigte sich das Wetter wieder.
 
Zusammen mit den direkten Auswirkungen des Vulkanausbruchs des Tambora könnten die Seuchen und Hungersnöten weit über 100.000 Opfer gefordert haben - die größte Vulkankatastrophe in historischen Zeiten.
 
Literatur:
 
BOER, de J.Z. & SANDERS, D.T. (2004): Das Jahr ohne Sommer - Die großen Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte und ihre Folgen. Magnus-Verlag: 269

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